Gerechtigkeit beim Lohn wollen alle – nicht nur Frauen. Doch wie soll das ohne Transparenz funktionieren? Die Unternehmerin und Beraterin Milena Reinle zeigt anhand ihrer eigenen Laufbahn auf, weshalb sie sich für eine faire und transparente Lohnstruktur einsetzt, die auf Leistung und Qualität basiert.
Das Thema Lohn ist nach wie vor ein äusserst sensibles Thema, das viele Arbeitnehmer, insbesondere in handwerklichen und dienstleistenden Berufen, häufig belastet. In vielen Sektoren, wie beispielsweise im Handwerk, in der Coiffeurbranche oder im Detailhandel, herrscht nach wie vor ein deutliches Lohngefälle. Doch auch Berufe, die nach einer umfangreichen Ausbildung oder einer langen Berufserfahrung verlangen, sind oftmals unterbezahlt. Besonders schockierend ist, dass Berufe, die eine hohe gesellschaftliche Relevanz haben, trotzdem häufig schlechter bezahlt werden als solche, die deutlich weniger Verantwortung mit sich bringen, aber über Jahre hinweg besser positioniert wurden.
Was ich aus meinen Erfahrungen gelernt habe
Ich selbst habe meine Karriere in der Coiffeurbranche begonnen – mit einer dreijährigen Lehre und einem Zusatzjahr zur Herrencoiffeuse. Nach meiner Ausbildung habe ich mich als Lehrlingsausbilderin weitergebildet und diese Verantwortung auch in meinem Betrieb übernommen. In dieser Zeit war meine wöchentliche Arbeitszeit mit 43 Stunden angegeben, jedoch kamen durch kürzere Mittagspausen und Überstunden, die oft unbezahlt blieben, viele Stunden hinzu. Mein Gehalt betrug 3800 Franken im Monat, was ich als junge Frau für die Verantwortung und die geleistete Arbeit als zu wenig empfand.
Als ich jedoch in einem gut frequentierten Salon arbeitete, konnte ich durch Umsatzbeteiligungen mein Einkommen selbst beeinflussen. Mein Grundlohn lag bei 3300 Franken, aber sobald ich mit meiner Arbeit einen Umsatz von 9900 Franken überstieg, erhielt ich ein Drittel dieses Betrags zusätzlich. Diese Erfahrung hat mir nicht nur ermöglicht, mein Gehalt zu steigern, sondern auch ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, wie viel Leistung erforderlich ist, um ein gutes Einkommen zu erzielen.
Was mich in dieser Zeit jedoch immer wieder schockierte, war die fehlende Wertschätzung für meinen Beruf. Kunden, die bereit waren, hohe Stundensätze für exklusive Dienstleistungen zu zahlen, zeigten sich oft überrascht, dass ein Haarschnitt – mit Beratung, Waschen, Schneiden und Föhnen – 65 Franken kosten sollte. Ich finde es daher äusserst begrüssenswert, dass immer mehr Salons auf transparente Stundensätze umsteigen, um mehr Klarheit und Perspektiven zu schaffen. Viele Menschen wechseln nach ihrer Lehre nicht schnell genug in ihren Beruf, was ich als sehr schade empfinde. Eine klare und faire Lohnstruktur könnte dazu beitragen, dies zu ändern.
Warum wir über das Thema Lohn sprechen sollten
Ein transparentes und nachvollziehbares System ist die Grundlage für eine faire Lohnverhandlung. Oft beginnen Verhandlungen mit der Frage, was sich der Arbeitnehmer vorstellt, woraufhin der Arbeitgeber den Betrag kürzt, um dann eine Zahl festzulegen. Doch was sind die Perspektiven? Welche Kriterien fliessen in die Entscheidung ein? Zu oft erlebe ich, dass Arbeitnehmer aufgrund fehlender Klarheit oder Struktur in den Verhandlungen benachteiligt werden. Als Quereinsteigerin habe ich selbst erlebt, wie es ist, in eine solche Verhandlung zu treten. Anfangs versuchte ich, meinen eigenen Lohn durch geschickte Verhandlung zu maximieren, aber ich bemerkte bald, dass dies nicht der richtige Weg war.
Als ich schliesslich in die Selbstständigkeit ging, stellte ich fest, dass ich die gleiche Herangehensweise auf die Löhne meiner eigenen Mitarbeiter anwenden musste. Dies bedeutete, dass ich die Leistung klar und objektiv bewerten und den Lohn in einem fairen Verhältnis zur geleisteten Arbeit setzen musste. Wichtig war es mir, eine klare Struktur zu schaffen, die den Mitarbeitern hilft, ihre eigenen Leistungen zu messen und sie so die Möglichkeit haben, sich weiterzuentwickeln. Wenn ein Arbeitnehmer über seine Leistung hinausgeht, wie definiert man diesen Moment und wie wird dieser Erfolg anerkannt? Perspektiven schaffen – das ist nicht nur eine Frage des Gehalts, sondern auch der beruflichen Weiterentwicklung.
In meiner Rolle als Arbeitgeber möchte ich niemals für Entscheidungen verantwortlich gemacht werden, die nicht nachvollziehbar sind. Gerade diese Klarheit und Transparenz bieten auch den Mitarbeitern Sicherheit und Vertrauen in das System. Wenn sie wissen, dass ihr Lohn auf klaren und nachvollziehbaren Kriterien basiert, verstehen sie die Logik hinter den Entscheidungen und wissen, dass ihre Leistung gewürdigt wird. Das stärkt das Vertrauen und das Engagement.
Die Bedeutung von Transparenz in der Lohnpolitik für alle
Gerade wir Frauen haben es oft schwerer, uns angemessen zu positionieren. Während Männer dazu tendieren, frühzeitig höhere Löhne zu fordern, warten Frauen häufig, bis sie die Leistung schon längst erbringen, bevor sie diese auch einfordern. Das führt dazu, dass Frauen oft weniger verdienen, obwohl sie dieselbe oder sogar bessere Leistung erbringen. In meiner Rolle als Führungskraft habe ich oft gesehen, dass nicht immer die Person, die die Extrameile geht, auch die Lorbeeren erntet. Stattdessen wird oft die Person honoriert, die am lautesten schreit oder sich am meisten in Szene setzt.
Eine transparente und gerechte Lohnpolitik, die auf Leistung und Qualität basiert, ist für alle von Vorteil. Sie schafft ein Umfeld, in dem nicht Titel oder Rhetorik, sondern die tatsächliche Leistung eines Mitarbeiters zählt. Dies ist nicht nur für das Unternehmen vorteilhaft, sondern auch für die Mitarbeiter, die so in ihrer Entwicklung unterstützt werden. Wenn die Lohnpolitik klar und transparent ist, haben alle Beteiligten die Sicherheit, dass ihre Leistung auf faire Weise anerkannt wird.
Fazit: Eine gerechte Lohnpolitik als Grundlage für langfristigen Erfolg
Transparenz in der Lohnpolitik fördert nicht nur das Vertrauen und die Zufriedenheit der Mitarbeiter, sondern trägt auch zum langfristigen Erfolg eines Unternehmens bei. Wenn Leistung und Engagement die entscheidenden Faktoren sind, um den Lohn zu bestimmen, profitieren alle – Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermassen. Es ist an der Zeit, dass wir in den verschiedenen Branchen eine faire und transparente Lohnstruktur etablieren, die sowohl die Leistung als auch die Perspektiven für die Zukunft berücksichtigt.
Milena Reinle ist Unternehmerin, Mentorin und Strategin mit Leidenschaft für Business Development, digitales Marketing und Innovation. Als Gründerin der MIACO GMBH und Co-Gründerin von 1322.ch entwickelt sie unter anderem Zukunftskonzepte für die digitale Wirtschaft und innovative Geschäftsmodelle. Ihr Fokus liegt auf nachhaltigem Wachstum, strategischer Markenpositionierung und der Förderung von Unternehmenskulturen, die auf Leadership, Transparenz und Fairness basieren.