Wir sind nicht nur in der Natur; wir sind Natur, schreibt scaling4good-Mitgründerin Anaïs Sägesser. Diese Perspektive als Erweiterung des Inner Development Goals (IDG) Framework ermögliche Führung in eine regenerative Zukunft. Die Ökonomin sieht darin einen klaren Weg in Richtung Gemeinwohl.
Was wäre, wenn der Schlüssel zur Regeneration – und damit auch zu regenerativer Führung – nicht nur darin liegt, Natur zu schützen und natürliche Lebensräume zu regenieren, sondern vor allem darin, uns daran zu erinnern, dass wir selbst Natur sind? Diese Idee steht im Zentrum unseres Kapitels „Relating: Connecting as Nature – an IDG practice towards relational, collective leadership grounded in ecocentrism“ (Anaïs Sägesser & Ruth Förster, 2025). Es erschien im neuesten Buch zum Inner Development Goals (IDG) Framework.
Hintergrund: Die Inner Development Goals
Die IDGs sind entstanden auf der Suche nach inneren Ressourcen und Kompetenzen, um den komplexen globalen Herausforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit zu begegnen. Im Blick sind dabei die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. Wissenschaftler:innen, Praktiker:innen und Organisationen entwickelten gemeinsam den IDG-Rahmen, der fünf Dimensionen und 23 Kompetenzen umfasst. Sie befähigen Individuen und Gruppen, bedeutungsvolle Veränderungen und auch systemische Nachhaltigkeit voranzutreiben – durch emotionale, kognitive und zwischenmenschliche Entwicklung. Die Initiative ging von der Erkenntnis aus, dass soziotechnische Lösungen allein keinen nachhaltigen Fortschritt schaffen können. Innere Ressourcen sind entscheidend für dauerhaftes globales Wohlergehen.
Die fünf systemischen Dimensionen der IDGs sind:
- Sein (Being): Beziehung zu sich selbst
- Denken(Thinking): kognitive Fähigkeiten
- Beziehhungen(Relating): Sorge für andere und die Welt
- Zusammenarbeit(Collaborating): soziale Fähigkeiten
- Handeln(Acting): Veränderungen bewirken
Den Wandel definieren: Vom Anthropozentrismus zum Ökozentrismus
Zu lange haben unsere Gesellschaften in einem anthropozentrischen Denken gelebt, das den Menschen als getrennt vom Rest der Natur sieht. Diese Trennung hat nicht nur zahlreiche sozioökologische – und auch wirtschaftliche – Krisen befeuert, sondern auch unser Gefühl von Verbundenheit, Empathie und Verantwortung eingeschränkt. Der Ökozentrismus, der das Wohlergehen und die Funktionsweise komplexer Ökosysteme ins Zentrum rückt, stellt dieses Paradigma infrage.
Wir konzentrieren uns in unserem Buchkapitel auf die IDG-Dimension „relating“, die auch die Sorge für die Biosphäre umfasst. Bisher gab es keine explizit mit den IDGs verknüpften Praktiken in Bezug darauf, wie Mitgefühl für etwas entwickelt werden kann, das nicht menschlich ist – sogenanntes artübergreifemndes Mitgefühl. Stets ging es um das zwischenmenschliche Mitgefühl. Für das interspezifische Mitgefühl braucht es als Grundlage das lebendige Bewusstsein, dass wir eingebettet sind in das grössere Ganze der Natur und darin eine Rolle haben.
In unserem Kapitel laden wir dazu ein, Erfahrungswissen und Kompetenz zu Verbundenheit zu erweitern. Das bedeutet, sich nicht nur mit anderen Menschen verbunden zu fühlen, sondern vielmehr die Verbindung mit der gesamten lebendigen Welt inklusive Flüsse und Berge wieder wahrnehmen zu können. Zentral ist für uns das Konzept der „Intraverbundenheit“: die Erkenntnis, dass wir ein Teil des Ganzen sind – und das Ganze immer ein Teil von uns ist. Diese Sichtweise fordert Regeneration, nicht bloss Nachhaltigkeit. Sie unterstützt die Wiederherstellung von Ökosystemen und fördert Gerechtigkeit für alle Generationen und Arten.
Verbundenheit fördern: Wege und Praktiken
Forschungen zeigen, dass Naturverbundenheit entscheidend für menschliches Wohlbefinden ist. Es gibt eine breite Literatur, die belegt, dass Naturkontakt – von blossem Aufenthalt bis hin zu aktiver Auseinandersetzung und Verbindung als Natur – sowohl der Menschheit als auch der restlichen Natur zugutekommt. Wir möchten Folgendes hervorheben:
Unsere Evolution:Seit Jahrtausenden ist die nicht-menschliche Natur unser ko-evolutionärer Raum, der unsere Beziehungen formte und zur Entwicklung unseres Selbst, unserer Individuation und Autonomie beitrug.
Unsere Grundbedürfnisse:Naturverbundenheit stillt unser tiefes menschliches Bedürfnis nach Verbindung und verwebt uns ins Gefüge des Daseins. Das Bewusstsein dieser Verbundenheit befähigt uns, für das Sorge zu tragen, womit wir uns verbunden fühlen – und wandelt „Natur“ vom Objekt zu einem integralen Teil eines grösseren Systems, das eng mit uns verwoben ist.
Unser Wohlbefinden: Umfangreiche Forschung zeigt, dass Naturverbundenheit Stress, Nervosität und Angststörungen reduziert. Sie verbessert die psychische Gesundheit, das Gedächtnis, die Stimmung und fördert Kreativität.
Unser Wissen:Eintauchen in die Natur bietet uns einen Resonanzraum, der unser Innerstes anspricht. Es eröffnet verschiedene Weisen des Erkennens, sei es im Kontakt mit oder im Erleben als Natur.
Unser verkörpertes Sein: Neurowissenschaftliche Forschung zeigt, dass Körper und Geist keine getrennten Einheiten sind, sondern zutiefst miteinander verflochten.
Unsere Verbindung mit anderen Menschen:Als Teil unseres Wohlbefindens stärkt die Verbundenheit als und mit der Natur prosoziales Verhalten, fördert Engagement mit anderen und erhöht die Bereitschaft zu Nachhaltigkeit und Regeneration.
Fazit:Zahlreiche Belege (siehe Referenzen im Originalkapitel) zeigen, dass die Verbindung mit der Natur – wie auch das Erleben, Teil von ihr zu sein – grundlegend menschlich ist. Erkennen wir unseren Platz in lebendigen Ökosystemen an, ist das entscheidend für das Gedeihen der Menschheit, besonders da Naturverbundenheit mit umweltfreundlichem Verhalten verknüpft ist. Indem wir als Natur handeln, knüpfen wir bewusst an unsere ko-evolutionäre Beziehung zur Erde an. Aus dieser Perspektive entstehen naturbasierte Interventionen und Praktiken als kraftvolle Strategien. Sie bergen grosses Potenzial dafür, dass Individuen und Gemeinschaften sich in Richtung regenerativer Transformation in komplexen Ökosystemen bewegen.
Transformatives Lernen und ökozentrische Führung
Wir betonen die Bedeutung von transformativem Lernen. Das Schaffen von „hinreichend sicheren Räumen“ ermöglicht es Menschen, neue – manchmal verwirrende – Erfahrungen zu machen. Mit sensorischer Achtsamkeit und emotionaler Beteiligung eröffnen diese Erfahrungen neue Bedeutungsperspektiven. Dieser Wandel verändert die Sicht von „Ich bin in der Natur“ zu „Ich bin Natur“. Dieses Verständnis bildet das Fundament für regenerative Führung, die sowohl menschliche als auch mehr-als-menschliche Systeme nährt.
Sich als Natur zu verbinden, erfüllt tiefe psychologische Bedürfnisse: Es reduziert Stress, verbessert Stimmung und Kreativität und fördert prosoziales, nachhaltiges Verhalten. Wenn wir uns um das kümmern, wovon wir uns als Teil fühlen, entsteht der Impuls ganz von selbst, weise für das Gemeinwohl zu handeln
.
Unsere Einladung: Intraverbundenheit praktizieren
Wir haben praktische, leicht zugängliche Übungen entwickelt (im Buchkapitel detailliert beschrieben), die jeder Lesende nutzen kann, um diese neue Sicht- und Seinsweise zu kultivieren. Beim nächsten Aufenthalt draussen: Halte inne, nimm mit allen Sinnen wahr. Spüre das Leben um Dich herum. Atme tief ein, höre aufmerksam – und erkenne: Auch Du bist Teil dieses lebendigen Netzwerks.
Auf dem Weg zu regenerativen Kulturen und Führung
Indem wir die IDG-Dimension „Relating“ auf die gesamte Erdgemeinschaft ausweiten, glauben wir, dass wir kollektiv vom blossen Konzept der Nachhaltigkeit hin zu echter Regeneration gelangen können. Das bedeutet, nicht nur Ausbeutung zu stoppen, sondern auch geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen und zu heilen. Ein solcher Wandel ist entscheidend für das Gedeihen allen Lebens – inklusive des menschlichen.
Wir sind nicht nur in der Natur; wir sind Natur.
Dieser Perspektivwechsel eröffnet neue Möglichkeiten für gestaltende Führung, kollektives Gedeihen und eine regenerative Welt.
Mehr dazu im vollständigen Buchkapitel.
Anaïs Sägesser ist Mitgründerin von scaling4good, STRIDE unSchool for Collaborative Leadership and Social Innovation und aktiv im Kernteam des World Ethic Forums. Sie denkt die Themen persönliche Transformation, öko-soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Wandel zusammen und handelt aus einer tiefen Verbindung mit dem grösseren Ganzen. Sie begleitet unter anderem Gruppen von Menschen in kurz- und längerfristigen transformativen Lernprozessen und ist auch als Dozentin tätig.