Zyklusorientiertes Arbeiten ist für Frauen ein Schlüssel zu mehr Produktivität, erklärt Veronika Fischer. In ihrem kürzlich erschienenen Buch „Female Working“ skizziert sie eine Arbeitswelt, in der weibliche Qualitäten zu Ressourcen werden. Dazu gehört auch ein achtsamer Umgang mit dem Menstruationszyklus.
Es macht mich eigentlich immer noch fassungslos, wenn ich darüber nachdenke, wie wenig man in der Gesellschaft über den weiblichen Zyklus spricht oder entsprechend handelt. Seit Jahrtausenden ist die Menstruation ein Tabuthema, in vielen Köpfen gilt sie auch heute noch als unrein oder zumindest als störend, nervig und überflüssig. In vielen Werbespots für Hygieneprodukte wird ein komplett unrealistisches Bild vermittelt: Frauen in weissen Leggins joggen, während ein Tropfen blaue Flüssigkeit super safe von einem Tampon aufgesaugt wird. In der Realität sieht das meist sehr anders aus. Regelschmerzen, Migräne und Übelkeit sind aber für viele Frauen normal und gehören eben zum Leben dazu. Erst in den letzten Jahren entwickelt sich eine Achtsamkeit auf dieses Thema.
Und so musste auch ich 35 Jahre alt werden, um meinen Zyklus wirklich zu verstehen. Klar, die Hormonkurven hatte ich mir immer mal wieder angeschaut, aber so wirklich verinnerlicht hatte sich damit nichts. Wenn meine Gynäkologin mich nach dem ersten Tag der letzten Blutung fragte, musste ich immer richtig lange nachdenken und wurde dementsprechend auch immer wieder von diesem monatlichen Happening überrumpelt – oh no, bitte nicht heute! Nicht bei der langen Zugfahrt, nicht beim Sportevent, nicht wenn ich auf einer Bühne stehen muss und bitte auch nicht im Urlaub!
Zykluswissen öffnet die Augen
Aber dann kam alles anders und in einem Zyklusseminar habe ich ein ganz neues Bild erhalten. Es ist ziemlich banal, aber super hilfreich: Man nützt für die vier Wochen des weiblichen Zyklus' einfach die vier Jahreszeiten: Die Blutung steht für den Winter, die erste Woche danach ist der Frühling, um den Eisprung herum steppt der Sommer und danach geht es leicht stürmisch in den Herbst. Mit dieser Verbildlichung lässt sich ganz viel Zykluswissen sehr einfach aufbereiten. Zum Beispiel welche Aktivitäten in welcher Woche perfekt zu den Hormonen passen. Der Frühling ist perfekt für Bewegung und Neustarts, im Sommer stehst Du in Deiner vollen Blüte, kannst Dich gut präsentieren und Dich um andere kümmern – da hat die Energie ihren Zenit. Danach kommt die Phase, die für viele Frauen am ungemütlichsten ist: der Herbst. Stimmungsschwankungen und Schmerzen stehen oftmals auf dem Programm. Aber auch hier kann man mit etwas Achtsamkeit positive Aspekte herausholen: Diese Woche ist zum Beispiel perfekt zum Ausmisten oder um Konflikte zu klären, für die es ein bisschen Ruppigkeit braucht. Und im Winter ziehst Du Dich bitte zurück in Deine Höhle und verbringst möglichst viel Zeit im Liegen, mit Wärmflaschen und Tees. Das klingt jetzt vielleicht utopisch, aber je mehr Du auf Deinen Körper hörst, desto einfach wird es, in diesen Flow zu kommen. Und ja, das geht auch in Jobs, die offensichtlich nicht die Infrastruktur dafür bieten.
Zyklusorientiertes Arbeiten ist einfach der absolute Game-Changer.
Frauen kommen aus der Erschöpfung, sobald sie nicht mehr gegen sich selbst, sondern im eigenen Rhythmus arbeiten.
Auch für Unternehmen rückt das zyklusorientierte Arbeiten immer mehr in den Fokus. Laut dem Institut für Zyklusgesundheit sind 24 Prozent der Gesamtfehltage von menstruierenden Personen im Job zyklusbedingt und 80 Prozent fühlen sich durch die Menstruation in ihrer Produktivität gehemmt. Es ist also ein wichtiges Thema und viele Unternehmen haben eine entsprechende Achtsamkeit in ihre Praxis integriert. So haben beispielsweise Nike und SAP das zyklusorientierte Arbeiten eingeführt. In Spanien ist 2023 ein Gesetz verabschiedet worden, das es erlaubt, sich aufgrund von Menstruationsbeschwerden für mehrere Tage im Monat von der Arbeit zu entschuldigen. In Japan gibt es diese Regelung schon seit den 1920er-Jahren und auch in Südkorea, Taiwan und Indonesien ist sie schon seit Jahrzehnten in Kraft, wird aber sehr selten genutzt.
Bei uns bieten viele Unternehmen Möglichkeiten für ein zyklusorientiertes Arbeiten, ohne dies so zu nennen: Homeoffice und Gleitzeitmodelle lassen sich entsprechend nutzen. In anderen Unternehmen hingegen wird der aktuelle Zyklusstatus klar kommuniziert und Aufgaben werden entsprechend verteilt. Diese Arbeitgebenden berichten von einem achtsamen Arbeitsumfeld und weniger Krankmeldungen der Arbeitnehmenden. Zyklusorientiertes Arbeiten kann also als Gesundheitsprophylaxe gesehen werden. Falls es das in Deinem Unternehmen noch nicht gibt: Sprich es an! Es gibt viele Zykluscoaches und spezielle Seminare, Workshops und Vorträge für die Arbeitswelt.
Wie lässt sich zyklisches Arbeiten gut in den Alltag integrieren?
Um die Arbeit und den Zyklus gut aufeinander abzustimmen, gibt es ein Drei-Schritte Programm:
1. Beobachten
Oftmals geht es im Alltag unter, dass man den eigenen Zyklus immer im Blick behält. Dabei ist es essenziell zu beobachten, wo Du gerade stehst und wie es Dir in dieser Phase geht. Starke PMS-Beschwerden lassen sich zum Beispiel ganz gut abfangen, wenn man einfach vorher schon langsamer macht und achtsamer ist. Um das Ganze gut im Blick zu haben, helfen Tracking-Apps, der Mondkalender oder Zykluskarten, die Dich dabei unterstützen.
2. Planen
Wenn Du weisst, wo Du gerade in Deinem Zyklus stehst, kannst Du Deine Wochen entsprechend planen. Eine Ernährung, die auf die Hormone abgestimmt ist, gibt Dir zusätzliche Energie. Hierfür ist es ebenfalls hilfreich, die vier Jahreszeiten als Metapher zu nehmen. Wenn Du Dich in den Farben der jeweiligen Jahreszeit ernährst, hast Du schon automatisch viele Nährstoffe, die Du brauchst: etwa viel Vitamin C im Frühling und viel Eisen im Winter. Auch Deine Alltagsangewohnheiten kannst Du entsprechend anpassen und wenn es geht, Deine Arbeitstermine so legen, dass Deine Hormone Dich unterstützen – zum Beispiel viele Pausen während der Blutung, Rushhour im Sommer. Und ja, da gibt es Möglichkeiten in allen Jobs, man muss nur kreativ werden!
3. Kommunizieren
Teile Deinem Umfeld mit, in welcher Phase Du gerade bist. Damit schaffst Du einerseits Verständnis für Dich, andererseits eine allgemeine Offenheit für die Thematik. Es gibt bereits einige Unternehmen, die den aktuellen Zyklusstatus der Mitarbeitenden transparent machen, um sie zu unterstützen. Ob man das möchte, ist immer eine individuelle Entscheidung. Aber zumindest im Privaten ist es doch sehr schön, wenn man unnötige Streits umkurven kann und einfach mal eine Wärmflasche angeboten bekommt …
PS:
Auch Männer haben übrigens einen Zyklus. Der ist allerdings noch nicht besonders gut erforscht und sendet keine so eindeutigen körperlichen Signale. Aber auch Menschen ohne Menstruation profitieren davon, wenn sie sich selbst beobachten und ihre persönlichen Ressourcen individuell einsetzen.
Veronika Fischer ist Autorin, Journalistin und Philosophin. Zuletzt erschien ihr Buch „Female Working – Wie wir weibliche Qualitäten als Ressourcen nützen“. In diesem Rahmen gibt sie Vorträge, Workshops und Coachings für ein neues Verständnis von Arbeit, das mit weniger Stress und mehr Lebensfreude einhergeht.